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Donnerstag, 02 März 2023 15:02

Manfred Boes: „Ich habe gebuddelt wie ein Weltmeister“

Manfred Boes: „Eine Idee und ein lang gehegter Wunsch wurden wahr.“  FOTO: PRIVAT Manfred Boes: „Eine Idee und ein lang gehegter Wunsch wurden wahr.“ FOTO: PRIVAT

Torgau, 2. 3. 2023. Im SonntagsWochenBlatt-Gespräch verrät Manfred Boes, warum er sich für die Rolle der Frauen in der Geschichte Torgaus interessiert.

SWB: Welche Bezeichnung für Sie ist Ihnen die Liebste: Torgau-Kenner, Stadtführer oder Autor?

Manfred Boes: In aller Bescheidenheit: Die Bezeichnung Torgau-Kenner gefällt mir und ehrt mich zugleich. Als Stadtführer von Torgau habe ich unlängst einen Rekord gebrochen, meine 7000. Schlossführung für die Leiterinnen und Leiter der Volkshochschule Nordsachsen hinter mich gebracht. Seit 13 Jahren mache ich Führungen für Freunde und deren Freunde, ab der 5000. mit dem Handicap meines eingeschränkten Stimmvolumens.

Vor zehn Jahren begannen Sie, sich mit den Frauen der Weltgeschichte zu beschäftigen. Was war Ihr Antrieb, welche Erkenntnisse gewannen Sie mit Ihrer Lesereihe „36 Frauen?“

Ich interessiere mich sehr für Architektur und Bauwerke insbesondere des Italieners Michelangelo. Diese Epoche hat mich inspiriert. Vor 30 Jahren war ich allerdings im Museum des französischen Bildhauers und Zeichners Auguste Rodin in Paris, wo ich auf den Namen seiner Geliebten Camille Claudel stieß. Sie war seine Muse, wurde aber zum Teufel gejagt. Die Frau überlebte 30 Jahre in einem Irrenhaus. Da standen mir die Haare zu Berge. Die Geschichte hat mich im Wesen an meine Mutter erinnert.

Warum das denn?

Im katholischen Rheinland musste meine Mutter mit nur 19 Jahren in Schwarz heiraten, weil sie schon meine Schwester unter ihrem Herzen trug. Diese Schicksale führten mich zu der Frage: Waren das Einzelfälle, oder was ist in 2000 Jahren mit den Frauen passiert?

Wie war Ihre Herangehensweise, wenn Sie sich einer Frau der Geschichte nähern?

Ich beginne, aus einer großen Biografie eine kleine zu formulieren. Ich versuche, Dinge herauszuarbeiten, die wichtig, einzigartig und exklusiv sind. Bei den 36 Frauen der Weltgeschichte stellte ich fest, dass alle an gesellschaftliche Grenzen stießen, weil die Welt männlich dominiert war. Das unterschreibe ich blind. Bei meinen Lesungen gab es viele bewegende Momente, oftmals hatten die Zuhörerinnen Tränen in den Augen. Im Übrigen ist Hildegard von Bingen diejenige Frau, die deutschlandweit am bekanntesten ist. Mich persönlich hat Maria Magdalena am meisten beeindruckt.

Damit nicht genug. Neben Frauen der Weltgeschichte tauchten Sie in die Rolle von Frauen in der Geschichte Torgaus ein. Welche Inspiration stand dahinter?

Ende 2019 war die Lesereihe „36 Frauen“ beendet. Ich hatte eine Idee im Kopf, verbunden mit einem lang gehegten Wunsch: Was ist eigentlich mit den Frauen, die in der Geschichte Torgaus eine Rolle gespielt haben? Also ging ich auf die Suche.

Wie muss man sich das vorstellen?

Ich recherchierte mich zwei Jahre durch die Institutionen, ging dem Landratsamt, dem Stadtmuseum und Stadtarchiv auf den Wecker: Ich möchte alles haben, was ihr über Frauen habt. Während dieser Zeit hatten wir ja Corona, sodass der Kontakt nur per E-Mail möglich war.

Gab es bei den Recherchen Überraschungen?

In der Tat, ja. Sagen wir es so: Ich hätte mehr erwartet. Historisch gesehen, wurde das erste, was über Frauen geschrieben wurde, von Priestern verfasst – also aus männlicher Sicht. Das war irgendwie enttäuschend. Es gibt ein Standardwerk „Persönlichkeiten in der Geschichte Torgaus“, wo 800 Persönlichkeiten, darunter nur 16 Frauen, aufgeführt sind. Alles in allem gab es nichts, was über die Rolle von Frauen in Torgaus Geschichte niedergeschrieben wurde. Dabei habe ich gebuddelt wie ein Weltmeister (lacht). Da die ersten Historiker in der Geschichtsschreibung immer Männer waren, gibt es ein Ungleichgewicht. Gerade in einer so kleinen Stadt wie Torgau.

Wo sind die Spuren der Frauen aus der Geschichte Torgaus heute sichtbar?

Man kann sie jeden Tag sehen am Schönen Erker, am Wendelstein, auf dem Fleischmarkt oder am Schlossportal – acht Frauen der Weltgeschichte sind auf Bildern verewigt wie die drei Nothelferinnen Barbara, Katharina und Margareta, oder in Stein gemeißelt.

Sollten noch mehr Frauen Torgaus wie Katharina von Bora ins Rampenlicht gerückt werden?

Das auf alle Fälle, ja. Katharina von Bora ist eine Frau, die alle kennen. Eine adlige Nonne, die weder die eine, noch die andere sein wollte. Ich mag die Begrifflichkeiten „Die Lutherin“ oder die artikulierte Bezeichnung „Die Frau neben Luther“ nicht. Wo stand Sie, rechts oder links neben Luther, zehn Meter vor, oder 20 Meter hinter ihm? Das ist nicht mein Ansatz. Stattdessen möchte ich die Persönlichkeit dieser Frau der deutschen Renaissance vorstellen. Und dann stieß ich auf eine absolute Hammerfrau.

Lassen Sie uns teilhaben?

Allzu viel möchte ich noch gar nicht verraten. Nur soviel: Es gibt eine „Primadonna assoluta“, die als Kind in Torgau lebte. Hier wurde ihr Talent erkannt. Sie brillierte 30 Jahre an der heutigen Semperoper in Dresden, sie sang auch für König Ludwig II. bei den Bayreuther Festspielen.

Was ist das abschließende Ergebnis Ihrer Recherchen?

Das Ergebnis beschert uns 33 Damen – wovon 19 blaublütig und fürstlich sind. Sie heirateten oder residierten in Torgau. Vier dieser edlen Geschöpfe erfuhren eine posthume Ehrung. Dann habe ich fünf bürgerliche Damen aufgetan und neun alltägliche Frauen.

Wann wollen Sie Ihre Erkenntnisse der Öffentlichkeit vorstellen?

Anlässlich der 1050-Jahr-Feier in Torgau wird es im September eine Lesung über die Frauen in Torgaus Geschichte geben. Ende März/Anfang April gibt es Lesungen über weitere 30 Frauen der Weltgeschichte. Die Frauen werden in einem anderen Licht erscheinen. Ich werde die Leistungen, ihre Intelligenz würdigen und zeigen, dass diese Frauen genau so viel wie Männer geleistet haben. Ich habe die Lesungen in zehn Gruppen unterteilt, wie beispielsweise Mätressen der französischen Könige, Künstlerinnen, Schauspielerinnen, Sportlerinnen, Sängerinnen oder die Malweiber von Hiddensee. Quer durch die Jahrhunderte.

Gespräch: H. Landschreiber

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