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Freitag, 10 März 2023 08:58

Dr. Barbara Zeitler: „Fehlender Respekt belastet zunehmend Arbeit von Polizistinnen und Polizisten“

Vertrauensvolle Gespräche nach belastenden Einsätzen gehören zu den Aufgaben von Polizeiseelsorgerin Dr. Barbara Zeitler. Foto: Jochen Reitstätter Vertrauensvolle Gespräche nach belastenden Einsätzen gehören zu den Aufgaben von Polizeiseelsorgerin Dr. Barbara Zeitler. Foto: Jochen Reitstätter

Region, 10. 3. 2023. Die Statistik in Deutschland zeigt einen deutlichen Anstieg der Gewaltbereitschaft und Gewaltausübung gegen Polizistinnen und Polizisten. Aber auch die Anwendung von Zwangsmitteln gegen Menschen, die selbst erfahrenen Anfeindungen und Beleidigungen sowie nicht zuletzt dramatische Unfälle oder Fälle von Gewalt bei Kindern sind Erfahrungen, mit denen Polizeibeamte im täglichen Dienst umgehen müssen.
Um besser mit schwer zu verarbeitenden Erlebnissen klarzukommen, können sich die Polizistinnen und Polizisten in Nordsachsen unter anderem Rat und Unterstützung bei Polizeiseelsorgerin Dr. Barbara Zeitler holen. Ob jemand gläubiger Christ ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle.

SWB: Seit wann sind Sie Polizeiseelsorgerin, und was reizt Sie an dieser besonderen Kirchenarbeit?

Dr. Barbara Zeitler: Polizeiseelsorgerin bin ich seit 1. Dezember 2019, also etwas mehr als drei Jahre. Mich reizt der Kontakt mit Menschen, die in dieser besonderen Organisation arbeiten: Sie sind für mich kostbar und wesentlich. Die meisten sind nicht christlich – insofern begegne ich vielen Menschen, die ich in einer Kirchengemeinde nicht treffen würde. Erfreulicherweise behindert das nicht das interessierte und oft intensive und vertrauensvolle Miteinander.

Was gehört zu Ihren Aufgaben als Polizeiseelsorgerin?

Das besondere an meiner Arbeit ist, dass ich als Außenstehende vieles im Inneren wahrnehmen darf und die Menschen, die in der Polizei arbeiten, begleiten kann. Ich bin nicht bei der Polizei angestellt, sondern arbeite als Pfarrerin für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens. Für den Dienst der Polizeiseelsorge gibt es einen Vertrag, der Rechte und Pflichten beider Seiten regelt. Zu Beginn meiner Tätigkeit habe ich viele Besuche gemacht und auch weiterhin begleite ich Einsätze oder besuche Polizistinnen und Polizisten und Angestellte in ihren verschiedenen Dienststellen. Dabei und inzwischen oft auch auf Vereinbarung ergeben sich Gespräche unter vier Augen, die unter seelsorglicher Verschwiegenheit stehen. Ich unterrichte einige Stunden Berufsethik an der Polizeifachschule in Leipzig, nehme an Besprechungen teil, biete Fortbildungen an, gebe Rückmeldung, wo ich es für sinnvoll halte oder gefragt werde, berate in Konfliktsituationen und unterstütze das Einsatznachsorgeteam.

Sie sind auch Zuhörer und psychologischer Ratgeber. Welche Voraussetzungen braucht man als Polizeiseelsorgerin?

Was jede Christin braucht: Das Vertrauen, dass Gott mich sieht und annimmt, auch wenn ich an meine Grenzen komme und Fehler mache. Aus diesem Vertrauen wächst Liebe zu Gott und zu den Menschen. Als Seelsorgerin braucht es zusätzlich ein hörendes Herz, Freimut und Worte, die verstehbar sind. Formal gehören zu den Voraussetzungen ein abgeschlossenes Theologiestudium, die praktische Ausbildung im Vikariat und eine Zusatzqualifikation in Seelsorge. Hilfreich ist auch meine langjährige Erfahrung in der Notfallseelsorge und im Kriseninterventionsteam Leipzig e.V.

In welchen Belangen kommen die meisten Rat- und Hilfe suchenden Polizistinnen und Polizisten auf Sie zu?

Da gibt es private und berufliche Anlässe – wie für die meisten Menschen zwischen 17 und dem Ruhestand: Krankheit, Tod, Konflikte in der Familie oder im beruflichen Umfeld oder Stress. Speziell sind die Gespräche nach belastenden Einsätzen. Das sind oft Einsätze, in denen Kinder oder Jugendliche betroffen waren. Gerade in den Landrevieren kommt es auch immer wieder vor, dass die Polizistinnen und Polizisten Menschen persönlich kennen, die von Unfällen oder Straftaten betroffen sind. Das ist natürlich schwer. Auch bei den sogenannten Corona-Demonstrationen hier in Oschatz war die Stimmung oft aggressiv aufgeladen, zum Glück ist die Lage aber nie gewaltsam eskaliert.

Wie schätzen Sie die Entwicklung der Belastung der Polizeibeamten ein?

Es wird vermutlich immer einen Anteil Bürgerinnen und Bürger geben, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen oder die Vertreter der Staatsgewalt ablehnen. Aufgrund der Entwicklungen im virtuellen Raum wird auch die Verfolgung von Straftaten im digitalen Bereich immer weiter ausgebaut werden müssen. Der Bedarf an gut ausgebildeten Polizistinnen und Polizisten wird also eher noch wachsen. Auch die Belastung im Dienst wird bleiben und ebenso die Notwendigkeit, dass Polizistinnen und Polizisten auch einen Ansprechpartner haben, dem sie ihre belastenden Erlebnisse schildern können. Ich bin sehr dankbar, dass ich dafür als Seelsorgerin da sein kann. Das grundsätzliche Infragestellen der Regeln und des Respekts in unserer Gesellschaft ist jedoch eine Entwicklung, welcher die Gesellschaft als Ganzes entgegenwirken muss.

Gespräch: Jochen Reitstätter

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